Sprachentwicklungsstörungen (SES)

Unter einer Sprachentwicklungsstörung (SES) versteht man eine zeitlich und inhaltlich nicht altersentsprechende Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes.
Man unterscheidet dabei primäre Sprachentwicklungsstörungen und sekundäre Sprachentwicklungsstörungen. Primäre Sprachentwicklungsstörungen beziehen sich nur auf die sprachlichen Fähigkeiten. Alle anderen Fähigkeiten wie beispielsweise die Grob- und Feinmotorik sind altersgemäß entwickelt. Sekundäre Sprachentwicklungsstörungen treten in Verbindung mit weiteren Entwicklungsstörungen auf.

Für eine Sprachentwicklungsstörung können folgende Ursachen verantwortlich sein:

  • genetische / neurologische Faktoren  
  • Organische / medizinische Faktoren (z.B. Hörstörungen)
  • Psychische Faktoren
  • Soziokulturelle Faktoren
  • Umweltbedingte Faktoren

Symptome einer Sprachentwicklungsstörung

Die nachfolgend aufgeführten Symptome können bei Sprachentwicklungsstörungen je nach Ausprägung sowohl einzeln als auch kombiniert auftreten:

Phonetisch-phonologische Störungen (Dyslalie, Störungen der Aussprache)

Phonetische Störungen:
Eine phonetische Störung besteht darin, dass bestimmte Laute und Lautverbindungen nicht gebildet werden können oder falsch gebildet werden. Die Aussprache eines oder mehrerer Laute gelingt artikulationsmotorisch nicht störungsfrei.
Das gängigste Beispiel für eine phonetische Störung ist der sog. Sigmatismus (Lispeln). Bei dieser Störung wird der Laut /s/ sprechmotorisch nicht korrekt gebildet. Die Zunge liegt bei der Lautbildung zwischen den Zähnen (Sigmatismus interdentalis) oder stößt an die Zähne (Sigmatismus addentalis). Bei anderen Lauten, die isoliert nicht gebildet werden können, erfolgt oft eine Ersetzung durch einen artikulatorisch einfacheren Laut (z.B. Tinderdaten statt Kindergarten).
Phonologische Störungen
Bei phonologischen Störungen kann der isolierte Laut artikulationsmotorisch problemlos gebildet werden. Vielmehr liegen hier Schwierigkeiten im Regelsystem, das der korrekten Artikulation zugrunde liegt, vor. Die Aussprache eines Lautes oder einer Lautverbindung gelingt im sprachlichen Kontext nicht störungsfrei. Bedeutungsunterscheidende Merkmale von Sprachlauten fehlen, ähnlich klingende Laute (/k/, /t/) werden nicht voneinander differenziert (z.B. «Tasse» statt «Kasse»).
Phonetische und phonologische Störungen können auch in Kombination auftreten.

Semantisch-lexikalische Störungen

Unter dem Begriff semantisch-lexikalische Störungen werden verschiedene Defizite, die den Wortschatz betreffen, zusammengefasst. Dabei kann der aktive sowie passive Wortschatz, das Verstehen von Wörtern, aber auch das Abspeichern oder die Wortfindung betroffen sein.

Syntaktisch-morphologische Störungen (Dysgrammatismus)

Störungen des grammatischen Regelsystems

Der Dysgrammatismus zeichnet sich durch Schwierigkeiten bei der Wort- und Satzbildung aus. Die Grammatik umfasst die zwei Bereiche Syntax und Morphologie.
Die Syntax beschreibt die Struktur des Satzes, wie die Wörter nach den grammatischen Regeln im Satz angeordnet werden. So steht z.B. im deutschen Aussagesatz das reflektierte Verb an zweiter Stelle: "heute kommt Opa - Opa kommt heute".
Die Morphologie beschreibt, wie sich die einzelnen Wörter verändern und welche Funktion sie im Satz tragen.
Beim Dysgrammatismus ist die Fähigkeit, Sätze und Wörter korrekt zu bilden, d.h. die Grammatik nach dem grammatischen Regelsystem korrekt anzuwenden, eingeschränkt.
Sätze werden unvollständig gebildet beziehungsweise Satzteile werden verdreht. Es werden zudem falsche Artikel, Fälle, Pluralformen und Flexionen verwendet.
Ein Dysgrammatismus liegt vor, wenn sich Syntax und Morphologie deutlich erkennbar von der Grammatik gleichaltriger Kinder unterscheiden!

Rezeptive Störungen

Störungen des Sprachverständnisses
Bei einer Sprachverständnisstörung gelingt das Verstehen sprachlicher Äußerungen nicht altersentsprechend. Wörter, Sätze oder kleine Aufträge werden nicht verstanden.
Reagiert ein Kind z.B. auffallend häufig unangemessen auf sprachliche Aufträge, kann dies auf Probleme beim Verstehen von Sprache hinweisen. Eine rezeptive Sprachstörung ist keine isolierte Störung, sondern tritt bei vorliegender Sprachentwicklungsstörung in Erscheinung.

Therapie der Sprachentwicklungsstörung

Nach umfangreicher und detaillierter Diagnostik werden die Inhalte der Sprachtherapie individuell an die Bedürfnisse sowie an den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes angepasst.
Die Übungen werden schrittweise aufgebaut und in enger Kooperation mit den Eltern sowie dem Kindergarten / der Schule durchgeführt.

Therapie von Sprachentwicklungsstörungen bei Behinderung

Die Sprachtherapie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen stellt eine besondere Herausforderung für alle am Therapieprozess beteiligten Personen dar. Für den Erfolg der Therapie kommt es hier auch auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Erziehern / Lehrern, Therapeuten und Eltern an.
Das Therapieziel ist die Vermittlung basaler, sprachrelevanter Fähigkeiten, um den Spracherwerb zu unterstützen und die Kommunikation im Alltag zu erleichtern.
Bei Sprachstörungen im Rahmen einer geistigen-, Körper-, Lern- oder Mehrfachbehinderung können alle oder einzelne Bereiche auf der vorsprachlichen Ebene (Atmen, Saugen, Kauen, Schlucken) und/oder sprachlichen Ebene (Artikulation, Wortschatz, Grammatik, Kommunikation, Schriftsprache) unterschiedlich stark betroffen sein.